BABYS HUNGER NACH NÄHE
Ein Neugeborenes, das ohne Unterstützung einschläft, das sich allein beschäftigt und nie nach den Eltern verlangt, ist ein «braves» Baby. Das scheint zumindest bis in die späten 90er eine breit gestreute Meinung gewesen zu sein, die leider noch heute Anklang findet. Doch wer bereits ein Kind hat oder hatte, weiss, dass Babys lieber getragen werden und den Eltern nah sein möchte. Genau das ist auch gut so und hat seine Gründe.
DIE «EGOISTISCHEN KLETTEN»
Der Gedanke, dass Babys bereits sehr selbstständig und ohne die Nähe ihrer Eltern auskommen sollen, lässt sich auf die Berufstätigkeit der Eltern zurückführen. Besonders im letzten Jahrhundert begannen Frauen sich nicht mehr nur dem Haushalt und der Familie zu widmen und wurden berufstätig. So kamen Ratgeber mit auf, wie dem Baby bereits früh beigebracht werde, ohne die Eltern auskommen zu können. Eltern heute müssen Job, Haushalt und Erziehung unter einen Hut bringen und leben zudem nicht mehr in Generationenhaushältern, sondern sind auf sich gestellt. Weil ein Baby nun mal nicht kochen oder abwaschen, aber sehr wohl liegen gelassen werden kann, muss es sich deshalb oft hintenanstellen. Und weil es einfacher ist, den Fehlern bei anderen zu suchen als bei sich selbst, sind dann die Babys «egoistische Kletten» oder «energieraubende Schreihälse».
WARUM NÄHE GEBEN?
Bei körperlicher Nähe schüttet der Körper das Bindungshormon Oxytocin aus. Dieses Hormon ist für Bindungen wie die Mutter-Kind-Bindung. Die renommierte Ocytoxinforscherin Kerstin Moberg schreibt in ihrem Buch “Oxytocin, das Hormon der Nähe” über die psychologische Auswirkung von Oxytocin. Nähe ist nicht nur essenziell für das Bonding zwischen Mutter und Kind, sondern fördert auch die soziale Interaktion, löst Wohlbefinden aus und wirkt sofort beruhigend und entspannend. Wird die Form von Nähe beendet, so schwindet das Wohlbefinden und wird durch Besorgtheit und Nervosität ersetzt. Nicht um sonst steht die Sicherheit an zweiter Stelle der Maslow Pyramide, denn wenn nicht einmal Erwachsene ohne diesem Grundbedürfnis auskommen würden, wie könnte dies dann von einem Neugeborenen verlangt werden? Nähe und Körperkontakt gibt einem Baby genau das: Sicherheit. Es weiss, dass es nicht liegen gelassen wurde und jemand hier ist, die oder der sich um seine Bedürfnisse kümmert.

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DAS SÄUGLINGSERBE
Wenn wir Säugetiere beobachten, so entfernt sich die Mutter nicht von ihrem Nachwuchs. Affenbabys beispielsweise hängen immer an ihren Müttern. Schon gar nicht legen Mütter ihren Nachwuchs zum Schlafen einige Meter von sich, sondern wissen diese immer in ihrer nächster Nähe.
Stellt die negativen Stimmen im Kopf aus, die euch sagen, dass ihr euer Kind verwöhnt, wenn ihr es tragt.
Uns Menschen wird in der Schule und der Gesellschaft so viel bewusstes Wissen beigebracht, dass wir unser intuitives Wissen und unsere Instinkte fast komplett verloren haben. Für uns Erwachsenen hat die Gesellschaft viele Funktionen übernommen und die Familie ist nicht mehr so wichtig. Wir Eltern denken an den überholten Rat, das Kind könne verwöhnt werden, wenn wir es tragen. Stellt die negativen Stimmen im Kopf aus, die euch sagen, dass ihr euer Kind verwöhnt, wenn ihr es tragt. Das Säuglingserbe existiert noch in uns. Ein Baby kennt nur seine Instinkte und weint, wenn es sich allein fühlt. Denn Nähe bedeutet für Säugetiere wie auch für unsere Säuglinge Überleben.
Ignoriere die negative Stimme in dir und hör auf den Drang einem Baby zu helfen. Gib deinem Kind Nähe.
DEUTSCH – BABYSPRACHE, BABYSPRACHE – DEUTSCH
Weil wir in der westlichen Gesellschaft unter anderen Umständen leben, als der Mensch noch Nomade war, heisst Nähe nicht mehr immer zwingend Überleben. Viele Kinder wachsen auch ohne viel Nähe auf und sind zumindest äusserlich kerngesund. Doch würden wir unseren Babys auch das Liegenlassen zumuten, wenn wir ihr Weinen ins Deutsche übersetzen würden? Wenn sich das so anhören würde?
«Mama, ich fühle mich einsam, wo bist du?»
«Oma, bitte spiel mit mir.»
«Ich bin verunsichert, gib mir bitte Sicherheit.»
«Papa, ich brauche deine Unterstützung beim Einschlafen»
Würde das Weinen eines Babys dekodiert werden, so würde sich vermutlich kaum eine Bezugsperson dem Wunsch des Kindes widersprechen. Aber die Realität zeigt leider, dass das Babys missverstanden werden. Ihr Bedürfnis nach Nähe wird als manipulierend und schwach angesehen. Doch was wenn Babys uns so ihre Liebe und Zuneigung schenken? Wenn für sie dieser Meter Abstand schon zu viel ist, weil sie es nicht aushalten ohne uns Eltern zu sein? Würde unser Lebenspartner das sagen, wären wir wahrscheinlich geschmeichelt. Weshalb sollte das anders sein, wenn Babys und dies auf ihre Art und Weise mitteilen?
Das Bedürfnis nach Nähe kann für jedes Kind unterschiedlich stark sein. Einem Neugeborenen bis drei Monate, kann man nicht genug Nähe geben -gerne auch Haut auf Haut. Im Buch von Moberg wird vom “Skinhunger” (deutsch: Hauthunger) gesprochen. Neugeborene können nicht genug von dir und deinem direkten nackten Körperkontakt bekommen.
Der renommierte Schweizer Professor für Kinderheilkunde, Remo Largo schreibt im Buch “Babyjahre” über die Trennungsangst. Ab sechs Monaten, wenn das Kind beginnt zu fremdeln, erscheint die Trennungsangst. Bei jedem Kind ist diese Leine zu den Eltern unterschiedlich lang. Manchmal kann es einem Säugling schon reichen, wenn eine Bezugsperson zu hören ist. Andere wollen beim Spielen die Bezugsperson sehen oder sind sogar auf Körperkontakt angewiesen. Babys sind zwar neugierig, brauchen aber ihre Eltern als immer zugänglichen sicheren Hafen.
GENUSS MIT VERFALLDATUM
Des Babys Verlangen nach Nähe kann Eltern zu viel sein. Das ist verständlich. Es ist emotional anstrengend immer abrufbar zu sein und einem kleinen Menschen die benötigte Nähe zu geben – besonders wenn die Wohnung aufgeräumt und die Blase entleert werden möchte. Ein Tragetuch kann Abhilfe schaffen. Denn unsere Kinder sind auf uns angewiesen – auf unsere volle Aufmerksamkeit und unsere körperliche Nähe. Sie benötigen sie zum stressfrei aufzuwachsen.
Mama, Papa, ihr schafft das. Unabhängig wie anstrengend es ist, diesem Bedürfnis des Kindes nachzukommen – es ist auf absehbare Zeit und diese kann genossen werden solange sie währt.
Literatur, Weblinks und Einzelnachweise
+ Largo, R. H. (2010). Babyjahre (18. Auflage). Zürich, Schweiz: Piper.
+ Moberg, K. U., Streit, U., Jansen, F. & Wiese, M. (2016). Oxytocin, das Hormon der Nähe. New York, Vereinigte Staaten: Springer Publishing.