DIE GESELLSCHAFT UND DAS VATERSEIN
Väter sind nicht weniger wichtig als Mütter. Deshalb gibt David* als leidenschaftlicher Vater ein Interview zu seinem Vatersein und, wie seinen Platz in der Gesellschaft sieht.
Wer bist du?
Ich bin David, 30, komme aus Zürich und bin Vater einer zweijährigen Tochter.
Was ist das Schönste für dich als Vater?
Die Gefühlsexplosion, wenn ich mein Kind sehe. Ich habe erst jetzt erfahren, wie gross die Liebe sein kann – verglichen zu dem, was man vorher jemals empfunden hat. Toll daran ist auch, dass man endlich die coole Autoritätsperson ist, die die Regeln angibt. So kann man seinen eigenen Spice hinzufügen und natürlich in einer gewissen Verantwortung.
Wie gestaltet sich dein Vatersein?
Mein Papisein gestaltet sich im Moment so, dass ich 100% arbeite und sie am Wochenende sowie an den Abenden sehe. Das ist sehr zeitintesiv und eine grosse Herausforderung oder eher fast schon unmöglich. Ich verbringe viel weniger Zeit mit meinem Kind als ich gerne würde. Ein Kind braucht so viel mehr, besonders in den ersten Jahren, in denen das Kind so schnelle und grosse Entwicklungsschritte durchgeht und dabei beide Elternteile braucht. Mit 100% arbeiten kann ich schlicht und einfach die Zeit nicht abdecken, die meine Tochter bekommen sollte. Ich verzichte deshalb beinahe komplett auch auf soziale Treffen ohne sie und nach der Arbeit eile ich so schnell wie möglich nach Hause, weil ich meine Tochter den ganzen Tag vermisst habe.
Was müsste sich noch ändern?
Mehr Zeit für meine Tochter schaffen und mehr Zeit für mich freiräumen. Ich verbringe praktisch jede arbeitsfreie Minute mit meiner Tochter und war kumuliert während drei Monate nach ihrer Geburt zu Hause. Aufgrund unseres Familienmodells bin ich mehrmals die Woche allein mit ihr. Daher kenne ich sie bereits sehr gut. Trotzdem musste ich feststellen, dass ich meiner Vaterrolle nach meinen Vorstellungen nicht gerecht werde. Aus diesem Grund habe ich bei meinem Arbeitgeber eine Pensumsreduktion beantragt. Wir haben eine Lösung gefunden: Meine Stelle wird aufgeteilt. Ich werde in naher Zukunft auf 60 % reduzieren können. Somit werden die Mutter meiner Tochter und ich gleichviel arbeiten. Mit den zwei Tagen, die ich weniger im Betrieb anwesend sein werde, habe ich mehr Zeit für meine Tochter, auch für mich oder eine Weiterbildung.
Diese Möglichkeit ist heute leider nicht selbstverständlich
Wir sind in dieser Hinsicht sehr privilegiert, dass es trotz getrennten Haushalten finanziell aufgeht. Unsere Gesellschaft benachteiligt Familien. Es gibt Eltern, da müssen 100 % arbeiten gehen, um sich überhaupt die Kinderbetreuung und finanziellen Unterhalt leisten können. Das kann doch nicht sein. Kinder sind die Zukunft unserer Gesellschaft und wenn man da nicht investiert und das den Eltern nicht möglich macht, dann spart man an de falschen Ecke. Es soll für beide Elternteile möglichst gemacht werden, zu arbeiten und gleichermassen durch ihre Präsenz Einfluss auf die Familie zu haben.
Wie nimmt die Gesellschaft nach deiner Auffassung Väter wahr?
Der Vater ist noch heute primär der Ernährer, der für die finanzielle Mittel aufkommen muss. Es wird uns Vätern noch immer nicht dieselbe Verantwortung geschenkt wie Müttern. Uns werden viele Chancen genommen – von Anfang an. Man traut Vätern weniger zu. Das zeigt sich schon beim Vaterschaftsurlaub, der in der Schweiz von einem auf zehn Arbeitstage erhöht wurde. In zwei Wochen muss man quasi das Elternsein erlernen. Da hinkt man von Anfang an der Mutter nach und weiss weniger Bescheid. Das eine führt zum nächsten. Die Mutter übernimmt Aufgaben – einfachheitshalber auch wenn Vater da ist. Man traut Vätern weniger zu. Ich merke in verschiedenen Situationen, dass ich als weniger verantwortlich gesehen werden. Manche fragen mich erstaunt, ob ich allein mit meiner Tochter unterwegs sei.
Es ist ja schmeichelhaft, wenn mir Leute sagen, dass ich ein guter Papi bin und wie sehr ich mich für mein Kind interessiere. Andererseits impliziert das, dass ich es als Vater nicht im Griff haben müsse oder könne. Als hätte ich das als Vater nicht die selben Kompetenzen meinem Kind die Liebe zu geben und mir nicht dieselben Fähigkeiten hätte wie die Mutter.

Der Kanton Zürich hat im Mai 2022 über 18 Wochen Vaterschaftsurlaub abgestimmt. Diese Initiative wurde mit über 64 % abgelehnt. Deine Gedanken dazu?
Es ist ein Paradebeispiel, dass in der Schweiz Profit über dem Menschen steht. Denn der Vater kann nicht mehr Zeit mit seinem Kind verbringen, obwohl es nur um einige Wochen geht. Aber diese Wochen sind matchentscheidend für ein stabiles Fundament in der Bindung mit dem Kind und, um seine Fähigkeiten als Vater kennenzulernen.
Mit unserem Denken wird der Vater stark in der Ernährerrolle und Mütter in der Erziehungsrolle gehalten. Wenn wir eine gleichberechtigtere Gesellschaft wollen, müssen wir das ausgleichen. Die Ablehnung benachteiligt vor allem bildungsschwächere Personen und Wenigverdienende. Personen, die bei weniger fortgeschrittenen Firmen arbeitet, haben wenige bis keine Möglichkeiten, unbezahlten Urlaub zu nehmen, um für ihr Kind da zu sein. Unsere Wirtschaft ist stark und das ist auch richtig, aber diese Ablehnung hat uns wieder gezeigt, dass in schweizer Köpfen Profit über dem Wohl der Menschen steht. Wenn man sich überlegen würde, welche positiven Auswirkungen mehr Vaterschaftsurlaub hätte, würden wir auch Kosten sparen in dem weniger Menschen aus dem System fallen. Es gibt mehrere Beweise dafür, dass Menschen, die keinen präsenten Vater hatten, sozial auffälliger sind. In den USA haben bspw. 80 % aller männlichen Insassen keinen Vater. Dabei brauchen Kinder elterliche Zuneigung von beiden Seiten und dazu gehört, wenn vorhanden, eine Vaterrolle.
Ich wünsche mir, dass wir in naher Zukunft weiterhin lernen, dass Vatersein so viel wichtiger ist für unsere Gesellschaft als es jetzt der Fall ist und wir alle erkennen, dass 16 Wochen Vaterschaftsurlaub nicht Utopie sind. Mit unserer Elternpolitik hinken wir all unseren Nachbarländern hinterer, obwohl wir eigentlich ein fortschrittliches Land sein möchten.
Was möchtest du anderen Vätern mitgeben?
Geduld für den Findungsprozess in der Vaterrolle. Umso mehr Zeit du mit dem Kind verbringst, desto mehr lernst du das Kind und deine Fähigkeiten als Vater kennen. Trotzphasen sind einfacher zu überstehen, man geht gelassener vor. Man erhält mehr Selbstvertrauen als Vater.
Manchmal habe auch ich gedacht, dass arbeiten einfacher ist. Aber wenn man erst über die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub hinaus ist, merkt man, wie es viel einfacher ist, weil man Situationen besser kennenlernt die Bedürfnisse des Kindes zu lesen lernt. Nehmt euch Mut, euren Platz einzunehmen. Äussert das Bedürfnis, weniger arbeiten zu wollen und geht nicht auf Kommentare ein, die dabei zurückkommen könnten. Und ganz wichtig: Treibt den familienorientierten Wandel voran. Denn dafür müssen nicht nur Mütter kämpfen, sondern auch wir Väter.
Danke, David, für den Einblick in deine Denkweise und dein Vatersein. Wir wünschen dir alles Gute auf deinem Weg.
David Viole*
Der leidenschaftliche Vater ist gelernter Hauswart und arbeitet heute im Büro als operativer Einkäufer. Wenn er nicht gerade mit seiner Tochter Zeit verbringt und mit ihr “e Rundi um de Block skatet”, trainiert er Brasilian Jiu Jitsu oder schmeisst den Haushalt. Gelegentlich lässt er auch seiner kreativen oder politischen Ader freien Lauf.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.